Am Königlichen Pädagogium, der Schule für Söhne des Adels und reicheren Bürgertums, führte August Hermann Francke eine Frühform des Werkunterrichts ein. In eigenen Werkräumen wurden das Drechseln, das Schleifen optischer Linsen und das Arbeiten mit Papier in der »Papp-Fabric« gelehrt. Die Schüler erlernten sogar die Herstellung optischer Maschinen und Fernrohre, die dann im Astronomieunterricht eingesetzt wurden.
Während Besuche bei lokalen Handwerkern den Blick für andere Lebensbereiche öffneten, sah der standesgemäße Lehrplan höfische Tischsitten sowie das Tranchieren und das Serviettenfalten vor.
Bildungstopographie der Glauchaschen Anstalten
Die Glauchaschen Anstalten August Hermann Franckes waren ein in sich geschlossener Bildungskosmos mit eigener Infrastruktur. Neben dem bereits 1702 eröffneten Waisenhaus mit Unterrichtsräumen für Kinder aus dem Mittelstand oder ärmeren Verhältnissen, einer Schule für Mädchen und dem Königlichen Pädagogium am östlichen Ende des Geländes gab es dort als Lernorte zum Beispiel eine Bibliothek, einen botanischen Garten oder Altane.
Die Papp-Fabric
Das Arbeitsheft des Schülers Georg von Perin (1723 – nach 1741) zeigt Konstruktionen von Festungsgrundrissen, Formeln zur mathematischen Landvermessung und vor allem diverse Zeichnungen geometrischer Körper.
Der angewandte Mathematikunterricht bildete die Grundlage der »Papp-Fabric«.
In der Papp-Fabric fertigten die Schüler kleine Schachteln, Etuis oder Teleskopröhren aus Pappe. Sie lernten nebenbei Grundkenntnisse verschiedener Handwerke, wie zum Beispiel des Buchbindens. Fortgeschrittene durften komplexere geometrische Körper bauen, die sie im Geometrieunterricht kennengelernt hatten.
Tranchieren
Von einem adligen oder bürgerlichen Hausherren des 18. Jahrhunderts wurde erwartet, dass er in der Lage ist, Speisen kunstfertig zu tranchieren. Beim Tranchieren werden Fleisch, Fisch oder auch Früchte fachgerecht getrennt und vorgelegt.
Am Königlichen Pädagogium lehrte man das Tranchieren an Modellen, die mit hilfe von Abbildungen und anleitungen aus Lehrbüchern zerlegt werden konnten. Erst wenn die Zöglinge die Grundschnitte beherrschten, durften sie an echten Fleischspeisen tranchieren.
Serviettenbrechen
Zur vollständigen Ausbildung höfischer Tischsitten gehörte neben dem Tranchieren auch das »Serviettenbrechen«. Während Tischservietten bereits seit dem 15. Jahrhundert genutzt wurden, kam das kunstvolle Falten von Kleidern und das folgende Serviettenbrechen im frühen 16. Jahrhundert auf. Im 18. Jahrhundert gehörten Anleitungen stilvoller Serviettenmuster zu jedem Anlass in Tranchierbücher und jegliche Hausväterliteratur. Die Zöglinge lernten nicht nur das kunstvolle Falten der gestärkten Stoffservietten, sondern auch die Auswahl der Serviette für den jeweiligen Anlass und das anschließende Eindecken der Tafel.
Die Faltanleitungen für historische Serviettenmuster sind in Zusammenarbeit mit den Junior:innen des Freundeskreises der Franckeschen Stiftungen e.V. entstanden.
Weitere Anleitungen finden Sie in unserer Youtube-Playlist.
Linsenschleifen
Schon in der ersten »Ordnung und Lehrart« des gerade gegründeten Königlichen Pädagogiums finden sich Hinweise auf den Unterricht im Linsenschleifen, und zwar unter der Kategorie »allerley Leibes-Bewegungen«. Diese Platzierung kam nicht von ungefähr, denn zum Schleifen waren nicht nur mathematisches Verständnis und Handwerksgeschick, sondern auch körperliches Vermögen notwendig.
Geduldig berechneten die Schüler die Krümmung der Gläser, bedienten Schleifmaschinen und polierten mühevoll per Hand. Wer es schaffte, eine Linse von adäquater Qualität herzustellen, durfte diese direkt in Verwendung sehen. Eigens hergestellte optische Maschinen wurden zum Beispiel im Astronomieunterricht ausprobiert.
Camera Obscura
Eine Lochkamera oder Camera Obscura bündelt das Licht der Außenwelt, das durch ein kleines Loch fällt und ein auf dem Kopf stehendes Bild erzeugt. Was uns im Zeitalter der Fotografie völlig normal erscheint, war für die Kinder des 18. Jahrhunderts nicht nur ein erstaunliches Spektakel, sondern vor allem äußerst lehrreich.
In den 1720er wurde in Franckes Waisenhaus eine begehbare Camera Obscura installiert, die ein Bild des heutigen Lindenhofes projizierte. Die Schüler lernten so etwas über die Gesetzte der Optik und das Auge sowie über die Grenzen der menschlichen Wahrnehmung.
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